28
.
August
2025
Strudel

Strudeln mit Corinna Radakowitz

Meeting Cori

Ein Vorwort von Stefanie Jaksch

Wann Corinna und ich uns das erste Mal begegnet sind? Sie kam zu einer Lesung und sprach mich an. Wir mochten uns, ich mochte ihre Offenheit, ihre Klarheit, ihre Schnörkellosigkeit. Oft verfolge ich nach einer solchen Begegnung danach, was diese Menschen tun – und ganz schnell stellt sich auch bei “neuen” Personen eine Vertrautheit, ein Erkennen, eine Nähe her. Es war Bauchgefühl, Corinna zu fragen, ob sie etwas für STRUDEL schreiben will, und sie antwortete: “Ach, spannend, ich denke zum ersten Mal seit Langem wieder darüber nach, etwas zu Papier zu bringen, das passt.” Das passt, dachte ich mir auch, als Corinna mir sagte, was ihr Thema sein würde: Nein sagen. Auf sich achten. Eine Fähigkeit, die ich lebenslang trainieren und an der ich wahrscheinlich immer wieder scheitern werde.

Nein zu allem, was schön ist

Privates absagen. Friends nicht treffen. Nein zur Familie sagen. Klingt hart, oder?

Zugegeben, diese Forderungen wirken befremdlich. Selten werden sie uns empfohlen, ans Herz gelegt oder überhaupt als Option erachtet. Warum eigentlich?

Der Wunsch nach Abgrenzung begegnet uns inflationär, je nach Bubble mehr oder weniger häufig. Auf Social Media scheint man dem Thema kaum entkommen zu können. Selbst in Reality-TV-Formaten, die alles andere als ein Safe Space sind, wird immer öfter über die eigenen Grenzen und das Neinsagen gesprochen.

Gesamtgesellschaftlich wird heute häufiger als noch vor einigen Jahren über die Belastungen im Arbeitsbereich diskutiert. Berufliche Grenzüberschreitungen wie Sexismus und Hustle Culture, also das Glorifizieren von Überstunden und permanenter Einsatzbereitschaft, werden thematisiert und medial aufgearbeitet. Es wird sich mehr getraut, Nein zu sagen. Was für meine Eltern noch unvorstellbar war, ist für die Ende Dreißigjährigen meiner Generation ein wenig selbstverständlicher geworden. Zwar kann es sich nicht jede:r leisten, auf Missstände hinzuweisen, die eigene psychische Gesundheit öffentlich in den Fokus zu rücken oder generell Nein zu sagen. Stopp oder Nein sagen zu können hat nun mal oft auch mit dem Privileg zu tun, keine Angst vor möglichen Konsequenzen haben zu müssen. Und doch bringen selbst Babysteps die vorhandenen Strukturen ins Wanken.

„Und jetzt sollen wir auch noch bei den Freuden des Lebens Abstriche machen? Langsam reicht’s aber!”, wirst du jetzt vielleicht denken. Ausgerechnet zum Ausgehen, der angenehmen Zeit mit der Familie und dem ruhig angelegten Brunch mit Freund:innen Nein sagen?

Ja, bitte! Wenn es gerade das ist, was du brauchst. Was bringt die schönste Geburtstagsfeier, wenn deine sozialen Batterien davor schon leer waren? Wenn du den Abend über vortäuschen musst, bei guter Laune zu sein, aber am nächsten Tag die Konsequenzen körperlich und psychisch spüren wirst? Was bringt ein Nachmittag mit der (Chosen) Family im Freibad, wenn du danach völlig überreizt deine täglichen Basisaufgaben zuhause nicht mehr erledigen kannst, auch wenn die Zeit schön war? Was bringt der Konzertbesuch, wenn es deine Ressourcen gerade nicht hergeben und du dich tagelang um deine Regeneration kümmern musst?

Wie inklusiv und aware sind deine Liebsten, wenn sie bei einer spontanen Absage beleidigt sind, obwohl sich seit der Vereinbarung die emotionale, körperliche oder psychische Gemengelage verändert hat? Absagen ist schließlich keine leichte Aufgabe. Es ist schwer, sich bewusst gegen schöne Pläne zu entscheiden. Es geht um die Frage: „Enttäusche ich potenziell andere oder setze ich mein eigenes Wohlbefinden aufs Spiel?”, die immer nur individuell und nach Tagesverfassung beantwortet werden kann.

Mehrere körperliche und psychische Krisen haben dazu geführt, dass ich mich mit diesen Fragen täglich beschäftige. Wenn der Körper so sehr streikt, dass der Hausarzt dir verbietet weiterzuarbeiten, hast du zwei Möglichkeiten: Du machst weiter wie bisher und arbeitest dich kaputt – oder du änderst dein Leben. Ich habe mich für zweiteres entschieden und wurde auch danach immer wieder auf die Probe gestellt. All das hat mich in meiner Entscheidung bestärkt, generell – auch im Privaten – kürzer zu treten. Kürzertreten als Überlebensstrategie, würde ich aus heutiger Sicht sagen.

Seit meiner Long-Covid-Erkrankung 2020 ist noch weniger möglich, und das ist hart. Hart ist vor allem die damit verbundene Arbeit, mir Zeit und Raum zu schaffen, um auf meine Bedürfnisse hören und danach handeln zu können. Vieles, was früher für mich selbstverständlich war, ja, mich sogar als Mensch ausgemacht hat – Spitzname Technocori –, geht heute nicht mehr, und das schmerzt mich manchmal immer noch. Und zugleich bin ich trotzdem dankbar dafür, gelernt zu haben, regelmäßig mit mir einzuchecken.

Solche Grenzen zu setzen, geht oft mit Verlust einher. Mit dem bewussten Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und dem Aufzeigen von roten Linien kommen Menschen – gerade, wenn man es zum ersten Mal macht – oft nicht zurecht. Das kann zu neuartigen Konflikten und im schlimmsten Fall zum Bruch von Beziehungen führen.

Und trotzdem entscheide ich mich heute für mich. Ich kümmere mich um mich, indem ich meine Bedürfnisse nicht mehr übergehe.

Das Schöne ist: Auch wenn der Prozess einige Jahre gedauert hat und vielleicht nie ganz abgeschlossen sein wird, habe ich nun Kapazitäten, von denen ich vor fünf Jahren nur träumen konnte. Mein Zeitmanagement und meine Priorisierung haben sich verändert. Ich weiß, welche Termine ich sparsam in meinen Kalender eintragen muss, damit es mir gut geht. Ich weiß, was ich unternehmen kann, ohne zu crashen. Mir ist bewusst, welche Erlebnisse mir viel abverlangen und welche nicht. Weil ich auf meinen Körper höre. Weil ich nicht gegen meinen Körper, nicht gegen mich selbst arbeite. Weil ich (meistens) wahrnehmen kann, was ich gerade im Moment und in den folgenden Tagen brauche und daraus meine Schlüsse ziehe. Manchmal bin ich dann selbst überrascht, was doch alles möglich ist.

„Alles absagen, keine Termine, keine familiären und privaten Verpflichtungen. Nur in der Sonne sein, spazieren, gutes Essen, viel rumliegen und lesen und ein schöner Theaterbesuch zum Abschluss. That‘s exactly what I needed, um wieder zu Kräften zu kommen.” Das sage ich mir in regelmäßigen Abständen, wenn ich rechtzeitig gemerkt habe, dass mir die Kraft ausgeht. So muss es sein. Nicht immer. Nicht ständig. Aber immer wieder muss es genau das sein.

Corinna Radakovits

Corinna Radakovits arbeitet als Fotografin und Fototrainerin in Wien und schreibt bislang gerne für sich. Ihr kritischer aber inklusiver Blick prägt ihre Arbeit und ihre Sprache. Sie fördert das Sehen ohne Bewertung und Achtsamkeit und schafft damit Safer Spaces.